Es gibt Comics, die vergisst man nicht. Und GEISEL ist so einer, das wusste ich schon nach den ersten paar Seiten. Und ich sag mal so, Seiten hat dieser kleine Klopper einige zu bieten: 432 sind es insgesamt. 432! Aber glaubt mir - keine davon war (oder ist) zuviel. Finde ich auch erstaunlich. Aber wenn ein Comic, der zu 90 Prozent der Zeit in einem kargen Raum spielt, DAS schafft, dann kann man da nur seinen Hut ziehen. Vor allem vor dem Mann, der das alles erlebt hat: Christophe war 111 Tage lang Geisel tschetschenischer (ein Wort, das ich nie wieder schreiben möchte, mon dieu!) Rebellen.
Und schonmal vorweg: Nein, er war nicht auf Abenteuerurlaub im Krisengebiet, sondern Mitarbeiter der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen. Sein erster Job. Sein erster! Und dann gleich entführt. Na toll. Wie man sich da fühlt, das schildert er in diesem Band, in dem er seine Erlebnisse verarbeitet.
Gut, von "Ereignissen" zu sprechen, ist hier auch so eine Sache - denn oft passiert tagelang nichts und die tägliche Essensration gestaltet sich da schon als richtiges Event. Verständlich, wenn man den ganzen Tag an einen Heizkörper gefesselt ist und an die Decke starrt. Dabei schwirren Christophe so einige Gedanken im Kopf rum: Kümmert sich eigentlich überhaupt jemand um die Rettung? Was wollen die Entführer? Bin ich das Lösegeld eigentlich wert? Dabei fiebert man als Leser/in sowohl bei den kleinen (wieviel Uhr ist es eigentlich?) wie auch den großen Fragen (warum ich!?) mit.
Natürlich kann man sich denken, dass er die Entführung überleben wird (sonst hätte er seine Geschichte wohl kaum erzählen können, ist klar) - aber dennoch weiß man genausowenig wie er, wann was passiert, was die Entführer wirklich wollen und in welcher Form Rettung naht. Oder eben auch nicht. GEISEL ist ein Comic, den ich euch wirklich ans Herzchen legen möchte. Denn auf eine gewisse Art ist es mehr als ein Comic - es ist ein Erfahrungsbericht in Bildern.
Verlag: Reprodukt
Autor & Zeichner: Guy Delisle
Inhalt: 432 Seiten
Release: 2017
Preis: 29 Euro