So, da lagen diese beiden Damen nun auf meinem Lesestapel. Mehr oder weniger nackig. Mon Dieu! Was ist da los? Soviel vorweg: Im Prinzip haben beide den gleichen Traum. Trotzdem unterscheidet sich ihre Ausgangssituation grundlegend...
Während die eine (Olympia) völlig selbstverständlich nur mit einem Halsband bekleidet über die Erde wandelt (so wie der Künstler Manet sie schuf), beschreibt das Nackigsein bei Betty Boob etwas völlig anderes: Die schockierende Erkenntnis, plötzlich ohne alles dazustehen: „Sie hat ihre linke Brust verloren, ihren Job und ihren Kerl." Aber Moment, es geht noch weiter: „Sie weiß es noch nicht, aber ist der beste Tag ihres Lebens.“ Klingt erstmal wie eine gewagte These, aber nachdem ich Betty Boob gelesen hatte, war ich tatsächlich derselben Meinung!
Betty Boob
Bei Themen wie Krankheit und Tod denkt ja nicht jeder als erstes an das Medium Comic, aber gerade darüber kann - auch ohne viele Worte - so unfassbar viel transportiert werden. Betty Boob ist ein Paradebeispiel dafür. Die insgesamt 184 Seiten kommen mit nur wenigen Worten aus, es gibt nicht einen einzigen Dialog - nur kurze Sätze, die alle paar Seiten die Stimmung vorgeben. Der Freund, der überfordert ist mit der Situation, die Chefin, die einen makellosen Look bei ihren Mitarbeiterinnen einfordert und optische Perfektion über alles stellt. Auch über Mitgefühl. Blicke scharf wie Rasierklingen fliegen da über die Seiten, da muss auch keiner mehr was sagen. Das tut weh.
Der Verständlichkeit halber wird sich auch einfacher Bilder bedient: z.B. die Krankheit Krebs als Armee voll kleiner schwarzer Krebse. Oder die linke Brust, deren Verlust Betty anfangs nicht akzeptieren kann und sie in einer Schachtel (!) mit sich herumgeträgt. Ich kenne mich da wirklich nicht aus, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass das wirklich möglich ist. Falls doch, verzeiht mir meine Unwissenheit.
So oder so: Betty Boob ist ein großartiges Beispiel dafür, wieviel Fein- und Taktgefühl das Medium Comic bei einem sensiblen Thema wie Brustkrebs an den Tag legen kann und es dabei auch noch schafft, eine große Portion Mut und Optimismus zu transportieren. Mich hat Betty Boob jedenfalls sehr berührt und ich bin überzeugt davon, dass es euch genauso gehen wird.
Verlag: Splitter
Autorin: Véro Cazot
Zeichnerin: Julie Rocheleau
Inhalt: 184 Seiten
Release: Oktober 2018
Preis: 24,80 Euro
Olympia
Olympia sieht sich - auf etwas andere Art und Weise - ebenfalls mit einer intoleranten Gesellschaft konfrontiert, die makellose Körper feiert, aber leider auch als Mittel zum Zweck einfordert. Aber nicht mit Olympia! Nix da! Es wird doch wohl möglich sein, eine Hauptrolle als Schauspielerin zu bekommen, ohne vorher mit dem Regisseur ins Bett zu hüpfen. Oder..? Nun. Im Moment sieht es eher schlecht aus für Olympia als selbstbestimmte Schauspielerin, da kommen mysteriöserweise nur die Komparsenrollen rein. Und dann wäre da ja noch Venus, die „höchste Gage auf zwei Beinen“, die Olympia zusätzlich das Leben schwer macht. Zum Mäuse melken! Wie bei Betty Boob übrigens ein spannendes Thema: Die traurige Tatsache, dass sich Frauen manchmal gegenseitig das Leben schwer machen, anstatt sich zu supporten. Meh!
Die Herangehensweise ist dabei mehr als kreativ: Olympia hüpft mehr oder weniger elegant (aber ach, zum Teufel mit den eleganten Posen!) durch 50 bekannte Gemälde der Kunstgeschichte. Ein Träumchen!
Aber ganz ehrlich: Ich habe ganz sicher (noch) nicht alle 50 Referenzen gefunden. Gut, es gibt im Anhang zwar eine Auflistung aller 50 Titel (12 sind auch abgedruckt), aber schon beim ersten bin ich mit meiner Internetsuche gescheitert. Ich hätte nämlich sehr gern ein Äuglein auf "Der Vogt der Kaufleute Étienne Marcel und Kronprinz Charles, 1879" geworfen, aber habe kein Bild gefunden. Schade Marmelade. Es wäre wirklich schön gewesen, wenn hinten alle 50 Gemälde abgedruckt wären. Und noch etwas wäre schön gewesen: Ich bin mehrmals über den Begriff der „Refüsierten“ gestolpert. Laut Duden bedeutet refüsieren „ablehnen, abschlagen, verschmähen", aber warum wird das nie erklärt? Oder bin ich jetzt der einzige Mensch auf der Welt, der das Wort nicht kennt? Nun.
Aber wie heißt es doch so schön: Wer meckert, hat noch Reserven! Da muss ich wohl einfach weiter recherchieren und mal wieder ins Museum. Lust darauf hat Olympia mir allemal gemacht.
Verlag: Reprodukt
Von: Catherine Meurisse
Inhalt: 72 Seiten
Release: Oktober 2018
Preis: 18,00 Euro